Gesellschaftsrecht

Zuständigkeit zur fristlosen Kündigung eines Vorstandsmitglieds in der Genossenschaft

Verfasst von

Dr. Michael Zenker

In einer seiner seltenen Entscheidungen zum Genossenschaftsrecht hat der BGH jüngst zu der umstrittenen und bislang nicht höchstrichterlich geklärten Frage Stellung genommen, welches Organ – Aufsichtsrat oder General- bzw. Vertreterversammlung – nach der Novellierung des Genossenschaftsgesetzes im Jahre 2006 gesetzlich zur fristlosen Kündigung eines Dienstverhältnisses mit einem Vorstandsmitglied berufen ist (Urteil vom 2. Juli 2019, Aktenzeichen II ZR 155/18).

Hintergrund

Das Genossenschaftsgesetz (GenG) weist in § 24 Abs. 2 S. 1 GenG die Kompetenz zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern grundsätzlich der General- bzw. Vertreterversammlung (als Sonderform der Generalversammlung, vgl. § 43a GenG) zu. Mit der Genossenschaftsrechtsnovelle 2006 hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 GenG die Möglichkeit eröffnet, statutarisch die Abberufungskompetenz abweichend zu regeln und auf den Aufsichtsrat zu verlagern. Von dieser Möglichkeit haben zahlreiche Genossenschaften – auch infolge der Übernahme der abweichenden Kompetenzverlagerung auf den Aufsichtsrat in den Mustersatzungen der Genossenschaftsverbände – Gebrauch gemacht.
Mit Blick auf die Zuständigkeit zur fristlosen Beendigung des der Bestellung typischerweise zugrundeliegenden Anstellungsverhältnisses schweigt das GenG jedoch. Bis zur Genossenschaftsrechtsnovelle 2006 entsprach es gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass dieses Recht ausschließlich der General- bzw. Vertreterversammlung zusteht. Mit der Genossenschaftsrechtsnovelle 2006 wurde dieses Verständnis im genossenschaftsrechtlichen Schrifttum zunehmend angezweifelt:
Teile des Schrifttums schließen aus dem im Zuge der Genossenschaftsrechtsnovelle 2006 neu gefassten § 39 Abs. 1 GenG, dass – unabhängig von der gesetzlichen Kompetenzverteilung zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern an die Generalversammlung – der Aufsichtsrat für die fristlose Kündigung von Dienstverträgen ausschließlich zuständig sei. Entgegenstehende Satzungsänderungen seien nichtig. Jedoch dürfe der Aufsichtsrat nur dann ohne Einschaltung der Generalversammlung über die fristlose Kündigung beschließen, wenn er aufgrund (typischerweise vorhandener) abweichender statutarischer Regelung selbst für den Widerruf der Bestellung zuständig ist. Ansonsten müsse er die Entschließung der Generalversammlung zum Widerruf der Bestellung vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung abwarten.

Nach der wohl herrschenden Ansicht ist die gesetzliche Zuständigkeit zur außerordentlichen Kündigung auch nach den Neuregelungen der Genossenschaftsrechtsnovelle bei der General- bzw. Vertreterversammlung geblieben. Die Neuregelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 GenG ermögliche es jedoch, neben der Abberufungsentscheidung auch die Befugnis zur außerordentlichen Kündigung auf den Aufsichtsrat zu übertragen.

Entscheidung

Der BGH hat in seiner Entscheidung unter Hinweis auf die Gesetzgebungsmaterialien der letztgenannten Auffassung den Vorzug gegeben und die grundsätzliche Kompetenz zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses mit Vorstandsmitgliedern im Einklang mit der ständigen BGH-Rechtsprechung bis zur Genossenschaftsrechtsnovelle 2006 bei der General- bzw. Vertreterversammlung belassen. Gleichwohl betont der BGH wiederum mit Verweis auf die Gesetzgebungsmaterialien, dass es der Praxis unbenommen sei, die Möglichkeit der Abberufung von Vorstandsmitgliedern, die nach Sinn und Zweck auch die fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses umfasst, auf den Aufsichtsrat zu übertragen.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH bringt Rechtsklarheit in eine umstrittene Frage des genossenschaftsrechtlichen Kompetenzgefüges. Für die genossenschaftsrechtliche Praxis ist darauf zu achten, dass die typischerweise vorhandene statutarische Kompetenzzuweisung von Vorstandsangelegenheiten an den Aufsichtsrat nicht nur die Abberufung des Vorstands als Organ der Genossenschaft, sondern auch die Kompetenz zur außerordentlichen Beendigung von Vorstandsdienstverträgen umfasst.

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