Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

EU-Kommission genehmigt erste Beihilfe in Anwendung der Mitteilung zum EU Chips Act

Verfasst von

Kerstin Rohde

Adrian Roseanu, LL.M.

Die EU-Kommission genehmigte am 5. Oktober 2022 zum ersten Mal eine Beihilfe auf Grundlage der Mitteilung „Ein Chip-Gesetz für Europa“ (Entscheidung der EU-Kommission SA.103083; bisher unveröffentlicht). STMicroelectronics (ST) kann auf dieser Grundlage ein direkter Zuschuss in Höhe von € 292,5 Millionen für die Errichtung Siliziumkarbid-Wafer-Fabrik (SiC-Wafer-Fab) in Catania gewährt werden (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_5970).

Anwendung der Mitteilung „Ein Chip-Gesetz für Europa“

Die EU-Kommission genehmigte die Beihilfe Italiens auf Grundlage von Artikel 107 Abs. 3 (c) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, wonach die Mitgliedstaaten Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige gewähren können, sowie auf der Grundlage der in der Mitteilung „Ein Chip-Gesetz für Europa“ dargelegten Grundsätze (Lesen Sie hierzu gerne unseren Blogbeitrag vom 28.06.2022 unter https://legal.pwc.de/de/news/fachbeitraege/eu-chips-halbleiterstrategie-der-eu-kommission-aus-beihilfenrechtlicher-perspektive). Die EU-Kommission prüfte dabei neben dem Vorliegen der bewährten Kriterien der Vereinbarkeitsprüfung (Anreizeffekt, Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit der Beihilfe) auch erstmalig die besonderen Voraussetzungen der Mitteilung.

Insbesondere ordnete die EU-Kommission die geplante SiC-Wafer-Fab als „first-of-a-kind-facility“ ein. Bei dieser Einordnung handelt es sich wohl um die wichtigste Voraussetzung der Mitteilung als auch um einen integralen Bestandteil der noch nicht in Kraft getretenen Verordnung zur Schaffung eines Chip-Gesetzes („EU Chips Act“). Ziel dessen ist es, Produktionskapazitäten in der Fertigung der neuesten Halbleitergeneration in der EU aufzubauen. Aus Sicht der EU-Kommission handelt es sich bei der geplanten Anlage um die erste integrierte Epitaxie-SiC-Wafer-Produktionslinie im industriellen Maßstab in Europa. Diese soll bis 2026 abgeschlossen worden sein.

Darüber hinaus wirkt sich die Maßnahme laut der EU-Kommission positiv auf die Wertschöpfungskette der europäischen Halbleiterindustrie aus, indem sie die Versorgungssicherheit und qualifizierte Arbeitsplätze in der EU sichert. Zusätzlich berücksichtigt die EU-Kommission, dass sich ST im Rahmen der Beihilfe bereit erklärt habe,

  • im Falle eines Lieferengpasses vorrangig bewertete Aufträge der EU zu erfüllen und Lieferengpässe zu bedienen,
  • in die Entwicklung der nächsten Generation von Mikrochips zu investieren und
  • weiterhin zur Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems beizutragen.

Eine Genehmigung in Anwendung der Mitteilung war möglich, da die Mitteilung bereits mit ihrer Bekanntgabe im Februar 2022 wirksam wurde und sie daher keines weiteren Umsetzungsaktes bedurfte. Die EU-Kommission kündigte darin die Grundsätze an, nach denen sie in Zukunft Beihilfen für Investitionen in die Halbleiterproduktion genehmigen wird. Demgegenüber befindet sich der Vorschlag der EU-Kommission zu einer Verordnung zur Schaffung eines Chip-Gesetzes momentan im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Eine Abstimmung über den Bericht des Komitees wird nicht vor Anfang 2023 erwartet, weswegen die Verordnung noch nicht in Kraft getreten ist.

Neben italienischen Haushaltsmitteln wird der Bau auch über die Aufbau- und Resilienzfazilität gefördert. Die EU-Kommission hatte bereits im Juni den italienischen Aufbau- und Resilienzplan (ARP) genehmigt. In diesem waren in der Komponente M1C1 bereits € 340 Millionen an Zuschüssen für die Unterstützung von Innovations- und Technologieprojekten im Bereich Mikroelektronik, darunter insbesondere die Halbleiterherstellung, vorgesehen worden.

Die Umsetzung der jeweiligen Maßnahme bedarf trotz der Aufnahme in der ARP der beihilferechtlichen Genehmigung der EU-Kommission. Die EU-Kommission prüft und bearbeitet die in den ARF verankerten Vorhaben und Maßnahmen jedoch vorrangig. Sie unterstützt die Mitgliedstaaten ferner in den Vorbereitungsphasen der nationalen Pläne, um den raschen Einsatz der Aufbau- und Resilienzfazilität zu ermöglichen. Dies erklärt womöglich auch, warum bereits relativ kurzzeitig nach Veröffentlichung der Mitteilung „Ein Chip-Gesetz für Europa“ die erste Entscheidung vorliegt.