Gesellschaftsrecht

Haftung des Geschäftsführers bzw. Vorstands – Aktuelle Rechtsprechung und Neuerungen durch SanInsFoG und StaRUG

Mit Urteil vom 27. Oktober 2020 (Aktenzeichen II ZR 355/18) hat der BGH entschieden, dass eine masseschmälernde Zahlung im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG aus dem Vermögen einer insolvenzreifen GmbH grundsätzlich nicht durch eine Vorleistung des Zahlungsempfängers kompensiert werden kann. Die Entscheidung gibt Anlass für einen Blick auf die Haftung der Geschäftsleitung eines Krisenunternehmen nach aktuellem Recht sowie auf diesbezüglich zu erwartende Gesetzesänderungen.

Aktuelle BGH-Entscheidung

Die o.g. Entscheidung ist ergangen zu der Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG. Nach dieser haften die Geschäftsführer einer GmbH mit ihrem Privatvermögen gegenüber der Gesellschaft auf Ersatz von Zahlungen, die nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung aus dem Vermögen der Gesellschaft geleistet wurden, es sei denn, die Zahlungen waren mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar.

Der Entscheidung lag – stark verkürzt und vereinfacht – folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war Insolvenzverwalter einer GmbH, die Beklagten deren Geschäftsführer. Die GmbH verfügte im entscheidungsrelevanten Zeitraum über ein debitorisch geführtes Konto bei der V-Bank mit Sollständen von bis zu € 500.000, wofür erstrangige Grundschulden in Höhe von rund € 1,6 Mio. an im Eigentum der GmbH stehenden Immobilien sowie weitere Sicherheiten aus dem Gesellschaftsvermögen gestellt waren. Die GmbH verfügte ferner über zwei kreditorisch geführte Konten. Über alle drei Konten wurden noch nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH Geschäftsvorfälle abgewickelt. Auf das debitorische Konto wurden Gelder eingezahlt. Über die kreditorisch geführten Konten wurden vertraglich geschuldete Zahlungen an Geschäftspartner der GmbH veranlasst, wobei die Geschäftspartner teilweise vorgeleistet, also zum Zeitpunkt der Zahlung der GmbH ihre geschuldeten Leistungen bereits an die GmbH erbracht hatten. Für die auf das debitorisch geführte Konto eingezogenen Beträge hat der BGH eine Haftung der Beklagten verneint, in den o.g. Vorleistungsfällen hingegen bejaht.

Der BGH bekräftigt in seiner o.g. Entscheidung zunächst seine ständige Rechtsprechung, dass der Einzug von Forderungen einer insolvenzreifen GmbH auf ein debitorisches Konto eine masseschmälernde Zahlung im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG darstellt und damit eine Haftung des Geschäftsführers auf Ersatz des eingezogenen Betrags auslösen kann, weil sich in dieser Konstellation durch den Forderungseinzug das Aktivvermögen der Gesellschaft zugunsten der Bank schmälert. Im entschiedenen Fall schied eine Haftung der Geschäftsführer der GmbH gleichwohl deshalb aus, weil durch die Verminderung des Sollsaldos auf dem debitorischen geführten Konto der GmbH Sicherheiten aus dem Gesellschaftsvermögen frei wurden, die dann wieder zugunsten der Insolvenzmasse bzw. der Gläubigergesamtheit zur Verwertung zur Verfügung standen.

Für die Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen, für die die GmbH zuvor Vorleistungen erhalten hatte, entschied der BGH, dass die Vorleistungen nicht dazu angetan sind, den anschließenden Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen zu kompensieren. Nach Eintritt der Insolvenzreife sei der Geschäftsführer verpflichtet, die noch verbliebene Insolvenzmasse zu erhalten. Dies erstrecke sich auch auf Vorleistungen, die in das Gesellschaftsvermögen gelangen. Die Vergütung solcher Vorleistungen stelle eine Masseschmälerung dar, für die der Geschäftsführer nach § 64 GmbHG auf Erstattung in Anspruch genommen werden könne.

Einführung einheitlicher Haftungsnorm und Haftungserleichterung durch das SanInsFoG

Die Entscheidung ist zum Recht der GmbH ergangen, hat aber auch Bedeutung für Gesellschaften anderer Rechtsformen und deren Vertretungsorgane. Denn die die Entscheidung tragende Vorschrift des § 64 GmbHG findet ihre Entsprechung auch in anderen Gesetzen, siehe z. B. § 92 AktG für die Aktiengesellschaft, §§ 177a, 130a Abs. 1 HGB für die GmbH & Co. KG sowie § 99 GenG für die Genossenschaft. Darüber hinaus ist § 64 S. 1 GmbHG entsprechend anwendbar auf den Director einer private company limited by shares nach englischem Recht mit Sitz in Deutschland.

Die Entscheidung zeigt erneut, dass die Vorschrift des § 64 GmbHG für den Geschäftsführer einer Krisen-GmbH erhebliche Haftungsrisiken mit sich bringt. Probleme bereiten insbesondere die unübersichtliche Rechtsprechung zu der Frage, welche Zahlungen in der Krise noch mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind und daher keine Haftung des Geschäftsführers auslösen, sowie der Umstand, dass die Haftung der Höhe nach nicht bzw. nur durch die Summe der aus dem Gesellschaftsvermögen abgeflossenen Beträge begrenzt ist.

Abhilfe verspricht hier der derzeit vorliegende Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG). Dieser sieht vor, dass die o.g. spezialgesetzlichen Haftungsvorschriften außer Kraft treten und durch eine einheitliche Haftungsnorm in § 15b InsO abgelöst werden sollen, der für Geschäftsleiter von Krisenunternehmen diverse Erleichterungen mit sich bringt.

Gleich bleibt zunächst die Ausgangslage: Auch nach § 15b InsO-E haften die Geschäftsleiter einer Krisengesellschaft gegenüber dieser auf Ersatz von Zahlungen, die nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung aus dem Vermögen der Gesellschaft geleistet wurden, es sei denn, die Zahlungen waren mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Wann letzteres der Fall ist, soll sich künftig jedoch aus dem Gesetz ergeben, nämlich aus § 15b Abs. 2 und 3 InsO-E. Hiernach gelten Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vorgenommen. Dies gilt insbesondere für solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Geschäftsleitung Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt. Zahlungen nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist sollen in der Regel als sorgfaltswidrig anzusehen sein. Zahlungen, die im Insolvenzeröffnungsverfahren mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters geleistet werden, gelten wiederum als sorgfaltsgemäß (eine parallele Regelung für Zahlungen mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters in der vorläufigen Eigenverwaltung sieht das Gesetz nicht vor). Die Neuregelung schafft damit mehr Klarheit und Sicherheit für Geschäftsleiter. Hinzu kommt, dass § 15b Abs. 4 InsO-E künftig eine Begrenzung der Haftung des Geschäftsleiters auf den den Gläubigern der Gesellschaft tatsächlich entstandenen Schaden vorsieht.

Erhöhtes Haftungsrisiko der Geschäftsleitung bei drohender Zahlungsunfähigkeit durch das StaRUG

Wie immer gilt indes: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Während die neue Haftungsvorschrift des § 15b InsO Erleichterungen für Geschäftsleiter von Krisenunternehmen bringen wird, sieht das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), das ebenfalls durch das SanInsFoG eingeführt werden soll, neue haftungsbewehrte Sorgfaltspflichten für die Geschäftsleitung eines Krisenunternehmens vor. So soll die Geschäftsleitung künftig gemäß § 2 StaRUG-E bei drohender Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet sein. Im Fall einer schuldhaften Verletzung dieser Pflicht (das Verschulden wird vermutet, der Geschäftsführer muss sich also entlasten) haftet der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft auf Schadenersatz. Keine Pflichtverletzung soll allerdings vorliegen, „wenn der Geschäftsleiter vernünftiger Weise davon ausgehen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen die Interessen der Gläubiger zu wahren“.

Eine solche Organhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit kennt das deutsche Recht bislang nicht. Wie sich die neue Haftungsnorm in der Praxis auswirken wird, bleibt abzuwarten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Frage, inwiefern sie den Handlungsspielraum eines Geschäftsführers in der Krise einengt.

Praxishinweis:

Das SanInsFoG und damit auch das hierin enthaltene StaRUG liegen derzeit in Gestalt eines Regierungsentwurfs vor, der ein Inkrafttreten der Neuregelungen bereits zum 1. Januar 2021 vorsieht. Der Bundesrat hat jedoch jüngst in einer Stellungnahme diverse inhaltliche Änderungen der geplanten Vorschriften angeregt und zugleich vorgeschlagen, deren Inkrafttreten auf den 1. Juli 2021 zu verschieben. Die weitere Entwicklung bleibt daher zunächst abzuwarten.